Völlig unterschätzt – Griechenlands schönste Stadt

Völlig unterschätzt – Griechenlands schönste Stadt

Nafplio ist bei Touristen ziemlich unbekannt. Dabei war der Ort auf dem Peloponnes sogar mal Hauptstadt. Davon geblieben ist der Sinn fürs Noble – und der herrliche Charme des Unvollkommenen.

Dieser Tag weiß bereits vor Sonnenaufgang, was aus ihm werden wird – ein Geschenk der Götter. Durch die geöffneten Fenster weht zusammen mit dem Duft von Mokka und frischgebackenen Sesamkringeln eine Prise der Leichtigkeit ins Zimmer, die man immer nur im Süden, immer nur bei Mittelmeermenschen findet.

War der Himmel über der Stadt eben noch so milchig trüb wie ein Glas Ouzo, in dem das Eis schmilzt, reißt jetzt ein blassgelber Streifen den Dunst auf und schwillt zu einer honigfarbenen Morgensonne an, in deren Schein die Häuserfassaden wie Bernstein leuchten. Ein herzerwärmender Anblick, dieses Nafplio, das für viele die schönste hellenische Stadt ist.

Das sehen nicht nur die Griechen selbst so, die den Hafenort am Argolischen Golf einst zur ersten Hauptstadt ihres modernen Staates machten. Auch Slawen, Byzantiner, Franken, Venezianer und Türken waren von ihren Reizen so beeindruckt, dass sie Nafplio nacheinander und immer wieder besetzten.

Die Schöne hält auf einer felsigen Landzunge Audienz. Wie ein kornblumenblauer Teppich hat sich der Argolische Golf der Stadt zu Füßen gelegt. Von seinen Ufern steigen hohe, von wilden Feigenkakteen überwucherte Klippen auf. Möwen hängen aufgeplustert am Himmel, wilde Kräuter würzen die Luft, Mohnblumen und Orchideen flirten mit der jetzt schon frühlingshaften Vormittagssonne, die von ein paar Einheimischen genossen wird.

Auswärtige sind hingegen kaum zu sehen – Nafplio ist zwar ausgesprochen malerisch. Doch das hat sich kaum außerhalb Griechenlands herumgesprochen. Nur wenige internationale Touristen reisen hierher, das Peloponnes-Städtchen ist ein Ziel für Liebhaber, fast ein Geheimtipp.

 

Den hübschesten Platz am Argolischen Golf gewählt

Über der Stadt wachen gleich zwei Festungen – Palamidi und Akronafplia, quasi eine Doppelkrone für die Schönheitskönigin. Von Akronafplia blieben nur wenige Mauern und Bastionen erhalten. Sie geben heute den historisch edlen Rahmen für das Fünfsternehotel "Nafplia Palace", das in die Ruinenanlage integriert wurde.

Auch für die imposantere Palamidis-Festung mit acht mächtigen Türmen, aber ohne Hotel, ächzen ein paar wenige Touristen über schweißtreibend steile Stufen den felsigen Hügel hinauf, um hinunterschauen zu können auf den Argolischen Golf und auf das Herz von Nafplio.

Das schlägt auf dem Syntagmatos. Früher oder später landet jeder auf diesem Platz, dem summenden Zentrum der Stadt mit Cafés, Restaurants und einem Pflaster, das so glatt und glänzend schimmert wie ein frisch gebohnerter Linoleumboden. Niedlichkeit und Nostalgie kleben in zuckergussdicken Schichten an der Stadt.

Doch Nafplio ist nicht bloß schön, sondern auch ein ausgesprochen geschichtsträchtiger Ort. Durch das ganze Zentrum zieht sich ein Netz historisch bedeutsamer Gebäude, das ebenso dicht geknüpft ist wie das eines Fischers in Nafplios Hafen. Ottomanische Brunnen, Museen, Kirchen und Kunsthallen, das ehemalige Parlamentsgebäude und alte Moscheen verraten, wie alt die Stadt schon ist: Fast 3000 Jahre hat sie bereits auf dem Buckel.

Nauplios, Sohn des Poseidon und der Amymone, soll sich den hübschesten Platz am Argolischen Golf für die Gründung seiner Stadt gewählt haben. Ihre große Zeit begann jedoch erst, als Nafplio 1829 zur Hauptstadt Griechenlands erklärt wurde, nachdem das Land die osmanische Oberherrschaft abgeschüttelt hatte.

Das erste griechische Parlament tagte damals in der einstigen Vouleftiki-Moschee, Familien der Oberschicht luden zu Tanz- und Literaturabenden in ihre Salons. Das Städtchen wurde plötzlich zur politischen Bühne, Machtspiele und Intrigen waren an der Tagesordnung.

 

Ein Bayer war drei Jahrzehnte lang König

Nafplio wurde schließlich sogar zum Tatort. Ioannis Kapodistrias, erster Präsident Griechenlands, fiel hier am 9. Oktober 1831 einem Attentat zum Opfer. Eine Glasscheibe an der Fassade der Kirche Agiou Spiridonos schützt heute die Stelle, wo eine erste Kugel den Putz aus dem Mauerwerk sprengte, nachdem sie den Politiker knapp verfehlt hatte.

Der zweite Schuss traf. Kapodistrias hatte es in seiner kurzen Amtszeit nicht geschafft, die verfeindeten Clans und Parteien zu vereinigen, und was dem griechischen Staatsoberhaupt nicht gelungen war, sollte nach seinem Tod der erst siebzehnjährige Wittelsbacher Prinz Otto von Bayern deichseln – er sollte ein stabiles Land schaffen.

Am 6. Februar 1833 erreichte Otto I. an Bord einer britischen Fregatte den Argolischen Golf und betrat in Nafplio griechischen Boden – zum ersten Mal in seinem Leben. Nicht die besten Voraussetzungen für eine Regentschaft. Dennoch gelang es dem Bayern, drei Jahrzehnte lang König von Griechenland zu bleiben, Athen zu einer repräsentativen Metropole auszubauen und das bayerische Reinheitsgebot für Bier bei den Hellenen in Kraft zu setzen.

Den orthodoxen Glauben aber nahm Otto I. nicht an. So blieb er für die Griechen ein Fremder. Sein Schicksal als König von Griechenland nahm in Nafplio seinen Anfang, und in Nafplio endete es auch wieder. 1862 revoltierte dort das Militär gegen seine Majestät. Otto I. dankte ab und verschwand, wie er gekommen war: auf einem britischen Kriegsschiff.

 

Von der Krise nicht verschont geblieben

Mit dem Sturz des Königs stand Nafplio zum letzten Mal im Zentrum des öffentlichen Interesses. Längst war Athen die Hauptstadt und Nafplio wieder irgendein Provinznest auf der Peloponnes, allerdings nur so lange, bis ein paar Touristen die unausrottbare Romantik entdeckten, die über Nafplios Bauten schwebt.

Zu lauschigen Plätzen, urigen Tavernen in engen Gassen und einer postkartentauglichen Hafenpromenade kommt noch die perfekte Lage hinzu. Das unterschätzte 14.000-Einwohner-Städtchen ist zudem nur knapp zwei Autostunden von Athen entfernt und der ideale Ausgangspunkt für Ausflüge nach Mykéne, Epidauros und Olympia, nach Kardamili, Sparta, Mystra und Monemvasia – all die Schauplätze antiker Kultur auf der Peloponnes. Und der nächste Strand liegt auch gleich um Nafplios Ecke. Langweilig wird einem hier also nicht.

Zum altmodischen Charme der Stadt passt es, wenn das Transistorradio im Souvenirladen die Käufer mit dem Lied "Omorfi poli, tha gineis dikia mou", "Schöne Stadt, du wirst mir gehören" unterhält. Damit Nafplio auch ja makellos bleibe, warnt ein Schild an einer frisch gestrichenen Fassade: "Graffiti is a crime".

Aber selbst in der hübschesten aller griechischen Städte ist das Leben zu wahr, um nur schön zu sein. Davon erzählen die Graffiti-Botschaften zwei Hausmauern weiter: "Merry crisis and a happy new fear" und "Bring down the system" – Worte der Wut, in scharlachroten Buchstaben gesprüht.

Und auch Nafplio ist von der griechischen Krise nicht verschont geblieben. Wer sich Takt und Richtung einer Stadtbesichtigung ausschließlich vom gebuchten Tourguide vorgeben lässt, kann in Nafplio zwar an der Krise vorbeireisen; auf herausgeputzen Plätzen und neu gepflasterten Promenaden schwarwenzelt Nafplio geradezu adrett daher.

Doch die Stadt hat auch eine andere Seite. Um die zu sehen, muss man sich in die Neustadt oder in die hinteren Teile der Altstadt, quasi auf Nafplios Rückseite, schleichen. Hier hängen Fensterläden schief in den Scharnieren. Rost frisst sich durch die Balkongitter.

Staub und Taubendreck schmieren einen schwindsüchtigen Teint auf die Fassaden. Hier wird das noble Nafplio gewöhnlich und ein klein wenig hässlich. Wäre auch sonst nicht auszuhalten – oder wie es der Videokünstler Nam June Paik ausgedrückt hat: "When too perfect – lieber Gott böse."

 

                                                                                                                                                                                     Quelle: Welt.de

 

 

 

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