Willkommen im Paradiso

Willkommen im Paradiso

Wer die Kykladeninsel Naxos einmal ins Herz geschlossen hat, kehrt immer wieder zurück – Krise hin oder her. In diesem Sommer werden Stammgäste für ihre Treue besonders belohnt: Mit viel Platz am Strand, selbst gemachtem Spinatkuchen und unverhofften Charmeoffensiven
 
von Christian Schüle

Zum ersten Mal seit Jahren schrieb Stella mir eine Mail. Ob ich auch wirklich käme, wollte meine griechische Wirtin wissen. Sie wolle sichergehen. Sie freue sich. Bis dahin hatte ich auf meine Reservierungen erst nach freundlichem Drängen eine kurze Bestätigung erhalten, nun bestätigte ich auf ihren Wunsch meine eigene Buchung. Somit war wahrscheinlich: Selbst Naxos geht es schlecht.

Ich hatte nicht mehr Bargeld als sonst mit in den Urlaub genommen – anders als jene, die wohl aus Furcht vor leeren Geldautomaten mit prall gefüllten Portemonnaies einflogen und ihre Apartments schon am ersten Tag bezahlten. Gewiss, ich war auf Streiks gefasst, weil Streiks immer schon zu Griechenland gehörten, weil griechische Streiks in ihrer Unberechenbarkeit und Emotionalität ein Faszinosum sind. Und ja, ich hatte mir auch vorgenommen, Angela Merkel zu verteidigen, zwar nicht bis zum äußersten Einsatz meines Körpers, aber, falls nötig, mit Nachdruck. Jedenfalls gab es für mich keinen vernünftigen Grund, in diesem Sommer nicht abermals auf jene Kykladeninsel zu reisen, von der so viele Griechen sagen, dass sie die schönste des Landes sei. Zu widersprechen wäre töricht.

Als ich auf Naxos ankam, zwei Tage vor der historischen Parlamentswahl, war ich nicht sicher, inwieweit die Schuldenkrise bis hierher durchgeschlagen wäre. Gehofft hatte ich, die Naxoten würden dieselbe souveräne Verachtung gegenüber der Regierungspolitik in Athen pflegen, wie sie es meiner Erinnerung nach immer getan hatten – und nichts wäre anders als in den vergangenen Jahren: Morgens um sieben würden hochbeinige Schwedinnen die Sandstraße entlangjoggen, mittags chinesische Physiotherapeuten für 15 Euro Fußmassagen anbieten, und abends, zum Sonnenuntergang um neun, würde der mürrische Vangelis in seiner Taverne Paradiso Pink Floyds Shine On You Crazy Diamond auflegen.

Ich war schockiert, als ich die Leere und Öde am Plaka Beach sah. Da lag der schönste aller Strände der schönsten aller griechischen Inseln in zarter Unschuld – und kein Mensch war da, nicht einmal eine Katze; nur eine neue Dusche, und die ließ den Kopf hängen. Obwohl Hibiskus und Bougainvillea prachtvoll blühten, war es, als wäre Naxos aufgegeben und verlassen worden. Das Rascheln der Palmwedel war lauter als sonst, und die weiche Luft roch nach Salz und Tamariskenharz. Was für ein Desaster, dachte ich: Wenn jetzt auch noch der Individualtourismus ausbleibt, ist das Land wirklich am Ende.

Pauschalurlauber gibt es hier so gut wie nicht, die Massen fallen auf den Nachbarinseln ein, Mykonos, Santorini, Paros. Nach Naxos kommen Liebhaber, Stammgäste, dem herben Charme der Insel seit Langem Erlegene. Die einzige Animation liefert das Meer, den Rest erledigen die bukolische Belassenheit der Natur, die Felsenkargheit und die unverstellte Kraft patriarchalisch krähender Hähne. Von Touristen wie mir lebt die eine Hälfte der 19.000 ständigen Einwohner, die andere von Land- und Subsistenzwirtschaft. Oft kommt beides zusammen, dann bieten Landwirte Zimmer an und betreiben Tavernen – Familienbetriebe seit Jahrzehnten. Familie kann man nicht entlassen. Familie ist konvertibler als jede Währung.
 
Besucher lieben die Erhabenheit der Gebirgszüge, die Einsamkeit der Ebenen

Nimmt man die Kykladen für Griechenland, Naxos für die Kykladen, den Abschnitt Maragas für Naxos und Plaka Beach für den Abschnitt Maragas, stößt man automatisch auf Tassos. An diesem 44-jährigen Individualisten lässt sich Glück und Elend, Leid und Trauer des ganzen stolzen Landes studieren – nicht nur weil er von sich sagt, er sei der Spiegel des Strandes, oder weil dieser Mann seit 13 Jahren zwischen Ende Mai und Ende September jeden Tag Sonnenschirme auf- und abbaut, Liegen arrangiert, alles über jeden weiß und wie niemand sonst sämtliche Wettervorhersagen für die südliche Ägäis kennt. Sondern weil er, gäbe es so etwas wie ein Lehrbuch für Mikro-Ökonomie in der Europäischen Union, ein Beispiel für vorbildliches Kleinunternehmertum wäre.

Plaka Beach ist ein etwa drei Kilometer langes Strandwunder an der Westküste, innerhalb dessen Tassos’ Revier gut zweihundert Meter umfasst. Dafür zahlt er der Kommunalverwaltung jährlich 8.000 Euro. Wollte er expandieren und weiteren Strand bestellen, kostete ihn das zusätzlich 3.000 Euro. In seiner Sektion 1 stehen gelb-blaue Schirme und Liegen, in Sektion 2 orange-weiße, insgesamt sechzig mögliche Einheiten, die Tassos’ Kapital sind. Wie andere Unternehmer muss er kalkulieren, wie viele Gäste am nächsten Tag zu erwarten sind, und das hängt von zwei Faktoren ab: der Weltwirtschaftslage und dem Wind.

 

                                                                                                                                                                                             Quelle: Zeit.de

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